GRUSELKABINETT - 168 –  Das tote Brügge

Gruselkabinett

168 - Georges Rodenbach - Das tote Brügge

Titania Medien

Gesamtspielzeit: ca. 86 Minuten

Altersempfehlung ab 14 Jahren

VÖ: 26.02.2021

CD-Cover Gruselkabinett Folge 168

„Sich selbst gegenüber empfand Hugo nicht die geringste Scham. Das war durchaus verwunderlich in dieser Zeit. Namentlich in diesem katholischen Brügge, das so sittenstreng war. Die hohen Türme in ihren steinernen Kutten warfen ihre Schatten auf alles. Und es war als ginge von den zahllosen Klöstern eine Verachtung alles Fleisches und seiner geheimen Begierden aus, eine ansteckende Verherrlichung der Keuschheit. Die Leidenschaften, der außereheliche Verkehr der Geschlechter werden stets als das Werk des Satans, der Weg zur Hölle angesehen. Die Sünde lässt die Stimmen in den Beichtstühlen kleinlaut werden und schminkt die Gesichter der Beichtenden mit purpurner Scham. Hugo kannte diese Sittenstrenge von Brügge und wollte sie darum nicht verletzen, aber in der Enge des Provinziallebens entgeht nichts der Beobachtung. Nicht lange, so errege er, ohne es zu wissen, die Entrüstung der Frommen.“

 

Klappentext: 

Brügge, 1892: Nach dem frühen Tod seiner Frau widmet Hugo Viane sein Leben einzig und allein der Trauer um sie. Erst die Liaison mit der Tänzerin Jane Scott, die der Toten zum Verwechseln ähnlich sieht, scheint seinem Leben wieder einen Sinn zu geben. Alsbald gerät der Witwer jedoch in einen Teufelskreis, da die vermeintliche Doppelgängerin nicht das ist, was sie zu sein scheint...

 

Die Geister werden sich scheiden

Das tote Brügge wird mal wieder eine Gruselkabinett-Folge, an der sich die Geister scheiden werden. Da bin ich mir jetzt schon sicher. Und ich muss auch zugeben, auch ich musste diese Folge häufiger hören, um mich drauf einzulassen und mir meine Meinung bilden zu können.

Die Folge 168 ist nämlich recht anspruchsvoll. Eine Geschichte, die durchaus sehr beängstigend ist – jedoch nicht so sehr ob der Grusel-Elemente sondern mehr wegen der schon fast zwanghaften Obsession von Hugo, dem trauernden Witwer und der morbiden Stimmung, welche im Hörspiel von dieser zu jener Zeit noch sehr unherzlichen Stadt und ihren Bewohnern ausgeht.

 

Ein trauernder Witwer auf Abwegen

Hugo Viane hat nämlich schon früh seine über alles geliebte Frau verloren und zieht in das streng katholische und damals noch sehr triste Brügge im belgischen Flandern. Dort will er sich voll und ganz der Trauer hingeben. Doch dann wird er plötzlich aus der Vergangenheit gerissen, als er der Tänzerin Jane Scott begegnet, welche seiner Geliebten zum Verwechseln ähnlich sieht. Da sie auf Grund ihres Berufes nicht über die typische Gottesfürchtigkeit der anderen Einwohner Brüggers verfügt, kommen die beiden sich schnell näher – jeder von Ihnen mit einer anderen Intention. Die anfängliche Liebelei entwickelt sich bald zu zwanghaften Begegnungen, welche insbesondere die junge Tänzerin zu ihren Gunsten auslegt. Ein Teufelskreis beginnt, der sicherlich keinen guten Ausgang haben wird.

 

Keine klassischen Gruselelemente

Wie schon kurz erwähnt, kommen in dieser Produktion keine klassischen Grusel-Elemente wie Geister, Vampire oder Hexer daher. Beängstigend ist vielmehr die unfreundliche, tote Stimmung, welche in der Stadt vorherrscht. Alles Menschliche scheint ihr entzogen zu sein, sie wirkt nur düster, dunkel und nahezu unmenschlich. Für jemanden, der trauern möchte, ganz klar der richtige Ort, um sich ganz dem Kummer hinzugeben.

Bedrohlich ist auch die Begierde, der Zwang, der sich bei Hugo einstellt. Alles scheint ihm egal. Werte und Meinungen interessieren ihn genauso wenig wie seine Selbstachtung, welche er immer mehr aufzugeben scheint, wenn er in Janes Nähe ist.

Unheimlich wird es dann noch einmal, wenn sich das Finale ankündigt, als Hugo immer wieder die Stimme seiner verstorbenen Ehefrau vernimmt.

 

Nahe am Original

Die Geschichte orientiert sich wie gewohnt sehr stark am Original, das aus der Feder des belgischen Dichter und Schriftstellers Georges Raymond Constantin Rodenbach (1855 - 1898) stammt. Auch dieser stellte schon die Stadt Brügge mit ihren verlassenen Straßen, den düsteren Kanälen, stummen Häuserfassaden und dem stets präsenten Nieselregen mit der Stimmung des Hauptprotagonisten gleich, welche sich erst verändert, als Hugo der Tänzerin begegnet. Doch dieser Wandel ist nicht von Dauer, mit den Problemen in der ungleichen Beziehung kommt auch die Melancholie zurück.

Dabei wird immer wieder deutlich, wie sich das Brügge von damals von dem heutigen Brügge unterscheidet, das inzwischen ein beliebtes Ziel ist. Und dies gerade wegen der engen Gassen, den Grachten und dem mittelalterlichen Flair, das die kleine Stadt heute umgibt.

 

Die Stimmen

Die Besetzung ist, wie so häufig bei Titania, recht überschaubar. Nur wenige Figuren kommen zu Wort und insbesondere Peter Weis als Erzähler begeistert mich wie immer vom ersten bis zum letzten Wort. Seine Stimmfarbe, dieser raue Klang passt optimal zu den „alten“ Wörtern, die ihm in den Mund gelegt werden und so hat er einen großen Anteil daran, dass diese „besondere“ Brügge-Stimmung auch den Hörer erreicht.

Michael-Che Koch gibt den trauernden Witwer und auch ihm nimmt man seine Rolle ab – egal ob er trauert oder seiner „Ersatz-Frau“ die Haare streichelt oder sie neu einkleiden möchte.
Eva Michaelis und Herma Koehn als die weiblichen Hauptpersonen sollen ebenfalls nicht unkommentiert bleiben, denn auch sie gehen voll in ihren Rollen auf. Eva Michaelis versteht es, die Lebende wie auch die Tote zu sprechen und so nicht zu dem Hörer den Kopf zu verdrehen. Herma Koehn ist die Haushälterin von Hugo, die immer wieder zwischen Gottesfürchtigkeit und Verbundenheit ihrem Herren gegenüber unterscheiden muss.

 

Kirchenglocken und Regen

In Sachen Geräusche versteht man bei Titania selbstverständlich sein Handwerk. Egal ob bestens platzierte Musikstücke (je nach vorherrschender Stimmung) oder Kirchenglocken, egal ob Schritte auf dem Pflaster oder Regen – akustisch bleiben keine Wünsche offen.

 

Mein Fazit:

Die 168. Folge vom Gruselkabinett bietet dem Hörer neben der wie immer sehr originalgetreuen Story einen anderen, recht anspruchsvollen Grusel. Von daher sollte man als Hörer also die eigenen Erwartungen vielleicht im Vorfeld anpassen und sich auf diese besondere, melancholische Produktion einlassen können. 


Mareike Lümkemann

 

06. März 2021