Ohrenkneifer
Gesamtspielzeit: ca. 170 Minuten, 3 CDs, plus ca. 18-minütiges Making-Of
Altersempfehlung ab 16 Jahren
VÖ: 09.03.2018
„Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir? Es muss doch etwas geben, das Sie wollen? Wieso entführen Sie mich denn sonst? Nun reden Sie schon! Und nehmen Sie diese scheiß Maske ab! Oder sind Sie zu feige? Was soll ich mit der Pappe? Soll ich das vorlesen? Warum? Ist das Ihre Forderung? Ok, ok. Wir machen einen Deal: Ich lese diesen Text und Sie nehmen die Maske ab. Na, ist das was? Ist das ein Deal? (…) Ist ja schon gut, ist ja schon gut. Ich lese…!“
Das heutige Deutschland, kurz vor den Bundestagswahlen. Ein Serienkiller entführt Spitzenpolitiker der rechtspopulistischen „NKD“ und tötet sie auf brutale Weise, indem er ihnen mit einer Bohrmaschine die rechte Gehirnhälfte zerstört. Eine SOKO um Judith Frigge und Heiko Sass soll den Fall aufklären, tappt aber im Dunkeln. Unterdessen wird durch eine tragische Verkettung privater Lebensumstände der Ex-Polizist Martin Bohm zum Fahrer der NKD-Spitze und verhindert dabei die Entführung des Vorsitzenden Klaus Rasche durch den Killer. Bei den anschließenden Ermittlungen stößt die SOKO auf Zusammenhänge zu einem sehr ähnlichen Fall von vor 10 Jahren, in dessen Aufklärung Martin Bohm auf traumatische Weise verwickelt war. Ist er vielleicht der Schlüssel zu dem Fall? Oder ziehen ganz andere Mächte im Hintergrund die Fäden?
Aktuell und beängstigend
Puh, dieses Hörspiel ist harter Tobak. Die Story, die aktueller ist denn je, kann einen ganz schön vereinnamen und regt bei der einen oder anderen Äußerung doch sehr zum Nachdenken an. Selten war ein Hörspiel so brillant wie brisant zugleich. Selten habe ich (als bekennende Autofahr-Hörspiel-Hörerin) eine Produktion überall mit hingenommen, um weiter zu hören, um am Ball zu bleiben, um bloß nichts Wichtiges zu verpassen. Es hat mich gepackt, wie bei einem guten Buch, man wird hineingesogen, denkt an die handelnden Personen und kann es kaum abwarten, weiter zu hören. Nur um endlich zu erfahren, wer für diese brutalen Morde verantwortlich ist. Als bekennende Thriller-Leserin weiß ich da, wovon ich rede.
Story voller Energie
Während ich die ersten Minuten noch benötigte, um reinzukommen in ROCH, so gefangen war ich, als ich angekommen war. Diese Story um eine heuschnupfengeplagte, dickköpfige Polizistin und einen vom Schicksal hart gebeutelten Ex-Polizisten ist einfach voller Energie, voller hervorragender Sprecher und mit wunderbar feinen und mit Fingerspitzengefühl platzierten Geräuschen. Dabei ist alles wunderbar authentisch und wirkt an keiner Stelle irgendwie übertrieben oder aufgesetzt. Hier hat jeder Ton seine Berechtigung: Sei es das dezente aber beständige Vogelgezwitscher am Tatort, die Geräuschkulisse auf dem Polizeirevier oder die Menschenmenge bei den NKD-Kundgebungen. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen.
Passende musikalische Untermalung
Als sehr angenehm empfand ich auch die musikalische Untermalung. Diese ist ebenfalls durchgehend sehr durchdacht platziert worden, dabei aber auch oft so geschickt, dass ich sie erst beim erneuten Hören wahrgenommen habe. Zudem wurden gerade mit den orientalischen Klängen bei den „rechten“ Auftritten immer tolle Akzente bzw. Gegenpole gesetzt.
Für die Story ist übrigens Christian Gailus verantwortlich, der sich in der Hörspielszene vor allem als Autor der zwei erfolgreichen Hörspielstaffeln „Glashaus“ (erschienen bei Audible) einen Namen gemacht hat.
Doch nicht nur Story und Sounddesign möchte ich an dieser Stelle hervorheben, denn schließlich lebt ein gutes Hörspiel vor allem von guten Sprechern und diese sind hier definitiv am Werk gewesen. Sei es Christiane Marx, die als ständig niesende Polizistin alles gibt, Marc Schülert als Ex-Bulle Bohm oder die noch weniger bekannte Julia Thurnau, welche die charismatische Politikerin Viola Reiss aus dem „rechten Lager“ zu Wort kommen lässt. Hier hört man gerne zu – vielleicht auch gerade weil man zu vielen der Stimmen (noch) keinen mega-bekannten Schauspieler vor Augen hat, der das Kopfkino bewusst/unbewusst beeinflussen könnte.
Mein Fazit:
Dies ist große Hörspiel-Kunst. Und ich hoffe, dass es von dem Regie- und Sprecher-Team Christiane Marx und Marc Schülert noch mehr so aktuelle und packende Produktionen geben wird. Diese beiden verstehen etwas von guter Vertonung – im doppelten Sinne!
Mareike Lümkemann
15. Mai 2018