Interview mit Marc Gruppe - Titania Medien

03. Oktober 2019

 

 

Atmosphärischer Grusel - dafür steht seit einigen Jahren Titania Medien und in diesen Tagen erscheint mittlerweile schon die 150. Folge. Wenn das mal kein Grund für ein Interview ist... Marc Gruppe, einer der beiden Köpfe von Titania stand Traumwelt Hörspiel Rede und Antwort und so ist es vielleicht zum bis dato ausführlichsten Interview von Marc Gruppe gekommen. Also - nehmt euch etwas Zeit zum Lesen!

 

Marc und Dagmar von Kurmin: Sie halten die Märchen-LP in der Hand, mit der alles begonnen hat. (Foto: Titania Medien).
Marc und Dagmar von Kurmin: Sie halten die Märchen-LP in der Hand, mit der alles begonnen hat. (Foto: Titania Medien).

Hallo Marc,

du bist einer der Köpfe von Titania Medien. Nur für den unrealistischen Fall, dass irgendjemand in der Hörspiel-Szene mit dem Namen Titania Medien nichts anfangen können sollte, was muss man über Titania Medien wissen?

Titania Medien ist ein Hörspiellabel, das ich 2002 zusammen mit Stephan Bosenius gegründet habe. Unser Schwerpunkt sind atmosphärische Hörspiele für Erwachsene. Dabei bieten wir mit unserer Reihe „Gruselkabinett“ Vertonungen der Meisterwerke der literarischen Schauer-Romantik an und haben derzeit außerdem die Reihe „Sherlock Holmes – die geheimen Fälle des Meisterdetektivs“ mit bisher unbekannten, exklusiv bei uns erschienenen Fällen im Programm. Die bekannten Doyle-Klassiker haben wir aber natürlich auch vertont. Für die ganze Familie gibt es jedes Jahr in unserer Reihe „Titania Special“ ein Märchen-Hörspiel. Und eine ganze Weile hatten wir noch die „Anne“- Reihe von Lucy Maud Montgomery als Serie in Produktion, die inzwischen abgeschlossen ist.

Ein besonderes Merkmal unseres Labels ist, dass wir sehr viel Wert auf Werktreue, atmosphärische Dichte, professionelle Sprecher, authentische Geräusche und passenden Musikeinsatz legen. Dafür nehmen wir auch gerne entsprechendes Geld in die Hand, um die Qualität der Produktionen zu gewährleisten.

 

Wie kommt man denn dazu, Hörspiele zu produzieren? Muss man da gewisse Grundvoraussetzungen erfüllen? Wie zum Beispiel weitreichende Theaterkenntnisse haben…?

Ich kann jetzt nicht für alle anderen Hörspielproduzenten sprechen, aber bei mir selbst war es so, dass ich Theaterwissenschaft, Musikwissenschaft und Literaturwissenschaft studiert hatte und eigentlich Opernregisseur werden wollte. In dieser Zeit habe ich bereits Bühnenfassungen berühmter Kinderklassiker für einen bekannten Theaterverlag verfasst und entsprechend viel über dialogisches Schreiben gelernt. Bei meinen Hospitanzen, Assistenzen und später auch als Theater-Regisseur habe ich außerdem viel Wissen zur Schauspielkunst und zum Zusammenspiel von Musik, Geräuschen und Stimme angehäuft. Das war dann natürlich für den kreativen Prozess sehr praktisch und mir ist vieles, was ich hier gelernt habe, zu Gute gekommen. Stephan hingegen hat Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Organisationsentwicklung studiert und sich daher lieber den geschäftlichen, organisatorischen und marketingtechnischen Aufgaben gewidmet. Insofern liefern wir uns hier gegenseitig die perfekte Ergänzung.  

 

Ein Kassettenkind zu sein, schadet wahrscheinlich auch nicht, oder?

Ich kann wieder nur von mir sprechen, und ich war von Kindheit an ein unglaublicher Hörspielfan. Es gab keinen Tag in meiner Kindheit, an dem ich mir nicht irgendeine LP aufgelegt hätte und irgendwas gehört hätte aus dem Haus von Europa oder Otfried Preußler-Geschichten oder Pumuckl. Ohne diese Erfahrungen wäre ich sicherlich nie beim Hörspiel gelandet. Unsere Gründung hing ja damit zusammen, dass wir ein Theaterstück mit Dagmar von Kurmin besucht hatten, und die hätte ich ohne meine Kindheitserinnerungen an die Europa-Hörspiele gar nicht gekannt. Es war ja ursprünglich so gedacht, dass wir Dagmar von Kurmin nochmal präsentieren wollten mit ihrer wunderbar gealterten Stimme. Daraus hat sich dann alles Weitere ergeben.

 

Magst du den Begriff „Kassettenkind“ eigentlich? Oder ist das inzwischen ein Modewort geworden?

Ich selbst war wohl eher ein LP-Kind, denn meine Kinderhörspiele waren alle auf Schallplatte. Aber dass es einen Begriff für unsere Hörspiel-geprägte Generation gibt, ist doch eigentlich sehr erfreulich. Wenn man bedenkt, dass beispielsweise unter Sammlern der „Drei Fragezeichen“-Kassetten von Europa die „Original“-Kassetten mit gelbem Etikett den bedruckten Nachfolgern vorgezogen werden, oder dass scharenweise Fans in die Arenen strömen, um bei Live-Hörspiel-Events dabei zu sein, gibt es in unserer Hörspiel-Generation ja wirklich Insiderwissen und Besonderheiten, die uns prägen und zu dem gemacht haben, was wir heute sind. 

 

Marc Gruppe als Schörgen-Toni (Foto: Titania Medien)
Marc Gruppe als "Schörgen-Toni" (Foto: Titania Medien)

Spiegeln deine Titania-Hörspiel-Produktionen auch die Hörspiele deiner Kindheit bzw. Jugend wider?

Ich kann und will hier meine Wurzeln gar nicht verheimlichen. Natürlich wandeln wir künstlerisch auf neuen Pfaden und orientieren uns nicht an anderen Produktionen, aber allein die Tatsache, dass wir durch die Begegnung mit Dagmar von Kurmin auf die Idee gebracht wurden, unser Hörspiel-Label zu gründen, spricht hier ja eine deutliche Sprache. Unsere erste Inspiration war es ja wie gesagt, dieser wunderbaren Stimme aus unserer Kinderzeit zu einem Hörspiel-Comeback zu verhelfen. Oder dass wir als Maler unserer Covermotive Firuz Askin gewinnen konnten, der seinerzeit die Hui Buh-Illustrationen für die Folgen 16 bis 23 für Europa gestaltet hatte. Ein hübsches Beispiel ist auch unsere Gruselkabinett Folge „Die Höllenfahrt des Schörgen-Toni“, die als Idee während einer Fahrt durch das Salzburger Land entstand, nachdem wir beschlossen hatten, das Schloss Moosham zu besichtigen, weil ich das Hörspiel „Der Pakt mit dem Teufel“ von Frau Körting so liebe. Und da wir ein neues Abenteuer für das Ehepaar Hargreaves suchten, kam uns diese Schlossbesichtigung gerade recht.

 

Warst du auch jemand, der sein Hörspiel zum Einschlafen brauchte?

Da ich hauptsächlich Schallplatten gehört habe, war das mit dem Einschlafen so eine Sache. Da musste ja die Seite umgedreht werden, wofür man dann hätte wach bleiben müssen. Aber es verging kein Tag, an dem ich nicht irgendeine Hörspiel-LP aufgelegt hätte, angefangen bei den Märchen-Schallplatten von Europa über die „Hanni und Nanni“-LPs meiner Schwester, mit denen meine Leidenschaft im Kindergartenalter begann, und die vom vielen Auflegen irgendwann ziemlich zerkratzt waren. 

 

Falls die nächste Frage nicht zu persönlich ist – hört dein Kind denn Hörspiele zum Einschlafen?

Oh ja! Unsere Tochter liebt Hörspiele sehr und hat bereits ein auffällig gutes Ohr für Stimmen entwickelt. Mit Hörspielen groß zu werden, ist eine tolle Sache für ein Kind. Vor allem, wenn die Hörspiele gut gemacht sind und von erstklassigen Schauspielern gesprochen werden, erfährt man durch Hörspiele schon von Kindesbeinen an, wie schön unsere Muttersprache sein kann. Das schult nicht zuletzt auch den aktiven Wortschatz.

 

Beeinflusst du deine Tochter in ihrer Wahl? Hast du bevorzugte Produktionen, die sie hören (darf)? Ich nehme an, das Gruselkabinett ist noch nicht dabei, oder?

Natürlich haben wir ein Auge darauf, was unsere Tochter hört, und das „Gruselkabinett“ ist ja erst ab 14 Jahren empfohlen und daher noch lange nicht an der Reihe. Aber unsere Reihe „Titania Special“ gehört eindeutig zu ihren Favoriten, vor allem „Die kleine Meerjungfrau“ und „Däumelinchen“. 

 

Apropos Gruselkabinett, letztes Jahr hattet ihr mit Titania 15-jähriges Jubiläum. Dieses Jahr gibt es die 150ste Folge. Hättest du das im Jahr 2003 für möglich gehalten?

Wir sind selbst am erstauntesten, dass es so ist. Schon bei der 50 dachten wir „Wow!“ Das hätten wir überhaupt nicht gedacht, als wir mit den ersten drei Folgen angefangen haben. Dann kam die 100 und war auch schon so eine unglaubliche Zahl. Dass es jetzt schon 50 Folgen mehr sind, ist wunderbar und freut uns natürlich ungemein.

 

Hast du für diesen Erfolg viel entbehren müssen? Viele Hörspielmacher opfern ja fast die ganze Freizeit für ihre eigenen Produktionen – von dem monetären Einsatz mal ganz zu schweigen.

Hörspiele zu produzieren ist immens aufwendig und daher auch verdammt teuer. Immerhin hat man es hier mit einer ausgefeilten Stereoabmischung zu tun, die einfach ihre Zeit braucht, um so zu klingen, wie sie bei uns klingt – und das verschlingt eben viel, viel Geld. Dazu kommen dann noch die Schauspielerhonorare, die Kosten für die Illustration, etwaige Lizenzgebühren und, und, und. Sprich: Es ist schwierig, mit der Produktion von Hörspielen heutzutage noch gutes Geld zu verdienen. Mein Tag ist häufig definitiv länger als 12 Stunden und es gibt ziemlich oft keine Wochenenden oder Feiertage. Man muss ja bedenken, dass wir pro Jahr 17 Hörspiele produzieren, die ich alle schreibe und Regie führe. Je nachdem, wie die Vorlage gestaltet ist, dauert allein schon das Verfassen des Skriptes kürzer oder länger. Wenn ich noch etwas recherchieren muss oder eine komplett selbst erdachte Folge schreibe, kommt dafür nochmal zusätzliche Zeit hinzu.

Ganz am Anfang haben wir komplett alles selbst gemacht und hatten noch keinen Vertrieb, und auch jetzt noch sind wir ein Zwei-Mann-Unternehmen mit dem externen Tontechniker, unserer Pressereferentin und einem Steuerberater. Da wird gelegentlich sogar noch jemand aus der Familie herbeizitiert, wenn Not am Mann ist und dringend Postsendungen rausgeschickt werden müssen. Zwar haben wir zum Glück inzwischen einen externen Vertrieb, aber wir sind eben hauptsächlich zu zweit. Seit 2012 haben wir außerdem ein Studio in Hilden in den eigenen vier Wänden, was natürlich manches zeitlich einfacher macht. Zu Beginn waren die Aufnahmestudios in Wuppertal und Berlin, später kam noch München dazu. Jetzt kann man vieles auch einfach über das Internet mit dem Studio kommunizieren.

Trotzdem sind Nachtschichten und Wochenend-Arbeit bei uns an der Tagesordnung, und wenn noch ein Ausfall wegen Krankheit hinzukommt, wie es in der vergangenen Zeit leider der Fall war, wird das Wort „Freizeit“ schon mal zum Fremdwort. Da wir uns außerdem trotz der neuen Regelungen zur Sprecher-Beschäftigung und diverser anderer Gesetze, beispielsweise zu den Plastik-Verpackungen, die alle zusätzliche Gelder und Zeit kosten, entschieden haben, unsere ausgezeichnete Qualität und unsere moderaten Hörspiel-Preise beizubehalten, kann man durchaus sagen, dass wir hier viel Freizeit und Geld hineinstecken. Ein großes Ärgernis sind in diesem Zusammenhang natürlich auch die illegalen Einspielungen unserer Hörspiele ins Netz, da wir dadurch sehr viel wertvolle Zeit für Suchen und Löschenlassen und rechtliche Möglichkeiten bis hin zur Anzeige verplempern müssen und das, obwohl unsere Hörspiele ja nun wirklich bezahlbar sind.

 

Wie aufwändig ist die Produktion z.B. von einer neuen Gruselkabinett-Folge? Braucht jede Folge gleich lange in der Entstehung?

Wir schauen bei unseren Folgen nicht darauf, wie lange sie in ihrer Entstehung dauern oder dauern dürfen. Zwar bemühen wir uns natürlich nach Kräften, den gesteckten terminlichen Rahmen einzuhalten, da unsere Hörer ein Recht darauf haben, die Hörspiele auch am Erscheinungstermin in Händen zu halten oder zu streamen. Aber jedes Hörspiel ist nichtsdestotrotz erst dann fertig, wenn wir es richtig und stimmig finden. Wir haben ja in der Vergangenheit auch schon manche Erscheinungstermine verschieben müssen, weil die Hörspiele trotz bestem Bemühen nicht fertig geworden waren. Da gibt es keine faulen Kompromisse. Solange wir unsere favorisierten SchauspielerInnen nicht beisammen haben, die Geräusche noch nicht stimmen oder die Musikuntermalung nicht passt, erscheint das Hörspiel nicht. Das sind wir unseren treuen Hörern und unserem Qualitätsanspruch schuldig. Je nach Länge des Hörspiels, Schauspieleranzahl und akustischen Kulissenwechseln ist die Produktionsdauer logischerweise auch unterschiedlich.

Das fängt schon bei der Bearbeitung der Vorlage an. Manche Vorlagen sind ja von sich aus wunderschön dialogisch geschrieben, wie der Holmes zum Beispiel, aber andere sind im Gegenteil dazu sehr schwierige Kandidaten ohne Dialoge, sehr atmosphärisch, manchmal auch sehr inhaltsreich, die einfach für ihre Bearbeitung in ein Skript viel länger dauern. Wir achten daher darauf, dass es eine Abwechslung gibt zwischen Texten, die schnell als Dialogbuch vorliegen, und denen, die dann etwas Zeit brauchen. Und die Skripte, die dann komplett selbst geschrieben sind, sind noch eine ganz andere Hausnummer, da sie noch einen Reifeprozess durchleben müssen. Da fange ich ja mit Null an und muss auch noch recherchieren, und das dauert schon entsprechend länger.

Eine Woche reine Arbeitszeit für das Dialogbuch ist da sicherlich ein Mittelwert. Dazu kommen dann ein bis zwei Aufnahmetage im Studio für eine CD, noch mal ein bis zwei Arbeitstage für die Auswahl des Materials und etwa drei Arbeitstage für Schnitt und Geräusch- und Musikunterlegung, die Zeit beim Tontechniker und drei Tage für den Feinschnitt. Vorausgesetzt, wir haben alle Geräusche schon fertig parat. Ansonsten müssen wir die natürlich auch noch aufnehmen oder – im Idealfall – schon vorher aufgenommen haben. Daher schauen Stephan und ich lieber nicht auf die Uhr. Im Fall von „Dracula“ hat es vom Schreiben bis zum Erscheinen der vier CDs etwa 10 Monate gedauert. In dieser Zeit wurden allerdings auch der „Frankenstein“-Zweiteiler, „Die Blutbaronin“ und „Der Freischütz“ noch gemischt und veröffentlicht. Diese Arbeitsprozesse greifen bei uns ja immer sehr ineinander.

 

Stephan Bosenius und Marc Gruppe (Foto: So-Min Kang)
Stephan Bosenius und Marc Gruppe (Foto: So-Min Kang)

Wer wählt eigentlich die Vorlagen für die Gruselkabinett-Folgen aus?

Das machen Stephan und ich zusammen. Stephan ist hauptsächlich der Fuchs, der außerdem im Blick hat, welche Stoffe frei werden. Er liest im Hinblick auf die Vertonbarkeit auch viele Stoffe, die gar nicht in deutscher Sprache erschienen sind und hat dadurch schon manches Juwel ausgegraben, das bei uns erstmals in deutscher Sprache und dann noch als Hörspiel-Adaption vorliegt. Nachdem die Geschichten, die ich aus meinem Literaturwissenschafts-Studium kannte, weitestgehend bereits von uns vertont waren, hat Stephan im Laufe der Jahre eine riesige Sammlung teilweise antiquarischer Bücher mit Schauer-Geschichten aus aller Herren Länder zusammengetragen und arbeitet sich da jetzt sukzessive durch. Stephan war es auch, der die Geschichten von Herman Cyril McNeile für uns entdeckt und die Idee hatte, daraus Fälle für Sherlock Holmes zu kreieren. Als ich so zwölf, dreizehn Jahre alt war, da gab es auf RTL-Radio eine Sendung von Rainer Holbe „Unglaubliche Geschichten“, in der Leute über Spuk bei sich zu Hause erzählt haben, das habe ich dann immer gehört, habe die Bücher von ihm und vielen anderen zum Thema gelesen und hatte dann eine riesige Bibliothek an klassischen Spukfällen. Aus diesen Quellen speisen sich gelegentlich die Fälle für die Hargreaves.  Es kommen aber auch immer mal wieder von Hörern sehr gute Tipps, was sich zur Vertonung eignen und lohnen würde. Ich bekomme dann immer nur die Geschichten zur Prüfung, die Stephan letztlich für geeignet hält. Diese Arbeitsteilung funktioniert bestens und wir sind sehr froh, schon so manches zu Unrecht vergessene „Schätzchen“ gehoben und damit wieder zugänglich gemacht zu haben.

 

Müssen die noch viel umgeschrieben werden? Ich nehme an, dass ist oft ein großer Spagat zwischen Originaltreue und der Hörerbefriedigung. Bleibt man zu dicht an der Vorlage, fehlt dem Hörer von heute vielleicht die Spannung, bringt man zu viel Eigenes rein, verändert man die Geschichte. Oder ist das gar kein Problem für euch?

Du hast in der Tat schon alle Faktoren angesprochen, die hier eine Rolle spielen. Wir haben uns die Werktreue definitiv auf die Fahne geschrieben, aber manchmal juckt es mich schon in den Fingern, hier noch eine spannungsbildende Ergänzung zu erfinden oder sogar etwas komplett umzuschreiben. Ich entscheide mich dann aber immer dafür, das Werk des Autors zu respektieren und außer kleinen Details, die nicht ins Gewicht fallen, aber für den Hörfluss angenehmer sind, nichts zu verändern. Auch versuche ich als Autor, größte Fairness bei der Figurengestaltung walten zu lassen und meine Figuren, die ich ja auch beim Schreibprozess sehr lieb gewinne, so gut dastehen zu lassen, wie es eben geht. Bei schönen Vorlagen, die schon dialogisch gestaltet sind und Atmosphäre haben, ist die Bearbeitung natürlich leichter als bei dicken Schinken mit zahlreichen Handlungssträngen und hohem beschreibenden Anteil. Die zu einem schönen Skript umzugestalten ist logischerweise eine große Herausforderung, die aber andererseits besonders reizvoll ist.

Dann gibt es noch die „geheimen Fälle“ des Sherlock Holmes, bei denen ich ja die beiden Figuren von Herman Cyril McNeile gegen Holmes und Watson austausche, aber damit allein ist noch nichts gewonnen. Da müssen Leerstellen gefüllt werden mit kleinen Nettigkeiten, die die beiden untereinander austauschen und natürlich den Holmes-typischen Dingen, die er rund um die Deduktion tut. Und meine beiden sind ja sowieso immer bei mir. Denn wenn man so lange Texte für zwei Schauspieler wie Joachim Tennstedt und Detlef Bierstedt schreibt und man sich so gut kennt wie wir mittlerweile, dann weiß ich so gut darüber Bescheid, wie sie Bögen bilden und was ihre Spitzzüngigkeit betrifft, dass ich es wirklich für sie schreibe, und für Regina Lemnitz vor allem auch. Regina Lemnitz ist ja auch ganz wunderbar, sie war zwar jetzt länger mal nicht dabei, weil die Jungs dauernd unterwegs waren und wenig Handlung in der Baker Street stattfand, aber das kommt definitiv zurück, mit schönen Handlungssträngen für Mrs. Hudson und sicherlich auch für ihre Cousine, die ich schmerzlich vermisse.

 

Hast du Sorge, dass dir irgendwann mal die Geschichten ausgehen?

Nein, überhaupt nicht. Es sind ja „Die Meisterwerke der Schauerromantik“, die wir vertonen, und unser „Gruselkabinett“ steht ja auch dafür, dass man diesen Begriff ein bisschen weiter fasst. Insofern ist die Auswahl der Geschichten ja nahezu unbegrenzt. Wir sehen uns im Übrigen auch nicht als Horror-Hörspiel-Produzenten, auch wenn dies manchmal durch das Wort „Grusel“ angenommen wird. Wir produzieren schauer-romantische Gruselhörspiele, die auf literarischen Vorlagen basieren. Das eröffnet uns unendliche Geschichten-Möglichkeiten.

Nehmen wir mal den Jules Verne. Wir näherten uns ursprünglich über das „Karpathenschloss“, aber letztlich habe ich dann zu Stephan gesagt: „Also, ganz ehrlich, ich finde das mit Kapitän Nemo und der Nautilus so beklemmend und unheimlich, der Stoff gehört ins „Gruselkabinett“. Der Kapitän Nemo ist so eine tragische, sympathisch-unsympathische, aber eben auch anziehende Figur, die dem Dracula in nichts nachsteht. Und die Phantastik und die Science Fiction speisen sich ja alle aus denselben Quellen und wurden von denselben literarischen Vorbilden inspiriert. Im kommenden Jahr erscheint bei uns „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff, das ist ja eigentlich ein Kunstmärchen, aber es ist ein ganz düsteres Kunstmärchen mit sehr brutalen Elementen drin, ebenfalls sehr beklemmend und eine faustische Geschichte, damit passt es perfekt ins „Gruselkabinett“. Auch Jane Austens „Northanger Abbey“ hat uns seinerzeit gereizt und war dann vielleicht nicht so gruselig wie von manchem Hörer erhofft, aber von den Inspirationen der Zeit geprägt, gut als Hörspiel umsetzbar, interessant und gut zu dem Begriff der Reihe passend, wie wir ihn für uns definiert haben. Insofern kann uns der Stoff gar nicht ausgehen.

 

Wie sieht es denn bei Holmes aus? Ist dort auch noch so viel Potential vorhanden?

Auch bei Sherlock Holmes gibt es noch sehr viel Material, allein von Doyle selbst noch ungefähr zweieinhalb Bücher mit diversen Geschichten, die wir vertonen könnten. Aber aktuell finden wir es reizvoller, mit den „geheimen Fällen“ frischen Wind in die Reihe zu bringen und bei den exklusiven und nur bei uns erscheinenden Geschichten zu bleiben. Mit „Mayerling“ kommt hier als Folge 41 wieder einmal ein komplett von mir erdachter Fall heraus, für den ich gerade in Wien recherchiert habe. 

 

Marc Gruppe (Foto: So-Min Kang)
Marc Gruppe (Foto: So-Min Kang)

Und wie werden bei euch die Schauspieler ausgewählt? Ihr habt doch auch sicherlich eine Art Stammcast?

Im Prinzip hat man bereits beim Schreiben „vor dem Ohr“, wer das später mal sprechen soll. Interessanterweise denken Stephan und ich bei vielen Rollen auch oft an dieselben Schauspieler, wenn wir die Skripte durcharbeiten. Es ist natürlich immer eine tolle Sache, wenn das dann für das jeweilige Projekt mit den Wunsch-Schauspielern auch klappt und die Person letztendlich die Rolle übernehmen kann, die man beim Schreiben auch dafür im Kopf hatte. Auf die Besetzung wird bei uns sehr viel Fleiß und sehr viel Mühe verwendet. Wir verpflichten grundsätzlich SchauspielerInnen, die wir selbst lieben und schätzen, was sie bisher gemacht haben. Mir ist bei den Hörspielaufnahmen sehr wichtig, dass es gut gespielt ist. Es soll nicht vorgelesen, sondern erlebt werden. Und das lockt dann auch die Schauspieler. Auch den Hörern ist es wichtig zu wissen, dass sie bei uns von Amateur-Sprechern verschont bleiben. Für uns ist und bleibt die professionelle Schauspielleistung das Qualitätssiegel schlechthin für dieses Medium. Wir sind stolz darauf, dass wir von Anfang an, was dies betrifft, keinerlei Experimente gemacht haben. Der Wiedererkennungswert der Stimmen aus der Synchronisation ist dabei nicht wirklich entscheidend. Was zählt ist die tadellose Schauspielleistung und dass der Schauspieler gut besetzt ist, d. h., dass die Stimme zur Rolle passt und vor dem imaginären Auge des Hörers die richtigen Bilder entstehen lässt. Was unsere Besetzungsideen betrifft, ernten wir ja immer sehr viel Lob.

 

Uns sind auch keine Kosten und Mühen zu groß, um einen Schauspieler zu bekommen, den wir für eine Rolle für perfekt halten. Christian Rode und Manja Doering haben wir sogar seinerzeit extra einfliegen lassen. Das wäre heute schon aus Umweltschutzgründen allerdings keine Option mehr, insofern sind wir sehr froh, dass man heute auch über das Internet mit den Studios in diversen Städten kommunizieren kann und keiner mehr hin- und herfliegen muss.

 

Ein besonders schönes Erlebnis war zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem leider mittlerweile verstorbenen Joachim Höppner, der unserem Dracula seine charismatische Stimme geliehen hat. Es war einfach phantastisch, wie er diese Rolle bis in die letzten Feinheiten des Textes ausagiert hat und ihr nichts, aber auch wirklich gar nichts schuldig blieb. Das war so nuancenreich und hatte alles, was diese schwere Rolle verlangt, wir waren vollkommen begeistert. Wir sind sehr dankbar, dass wir mit Joachim Höppner noch zusammenarbeiten konnten und werden diesen Aufnahmetag sicherlich nie vergessen.

 

Unser wunderbarer Schauspieler Michael Pan sagte einmal sinngemäß, dass man beim Sprechen eines Hörspiels merkt, ob der Schauspieler wirklich Talent hat. Denn hier kann man nicht mogeln. Gestik und Mimik sind unsichtbar, die gesamte Figur wird akustisch erschaffen. Da achten wir natürlich darauf, wie fein der Pinsel und wie gut gefüllt der Farbkasten des Schauspielers ist. Jemand wie Dagmar von Kurmin oder Reinhilt Schneider hat natürlich einen unglaublich mit Nuancen gefüllten Farbkasten, und davon gibt es in unserem Ensemble einfach zahlreiche, auf die wir dann gerne zurückgreifen, um unser Niveau halten zu können. Es ist kaum verwunderlich, dass wir sie entsprechend als feste Größen in unserem Schauspielercast haben. Mit Regina Lemnitz arbeiten wir schon seit 2004 sehr regelmäßig zusammen – und diese Zusammenarbeit ist immer wieder wunderbar, weil wir von Anfang an eine Ebene miteinander hatten, bei der man genau wusste, was der andere braucht und möchte.

 

Zu Beginn haben wir viele Kontakte zu herrlichen Stimmen über Christian Rode und seine Frau, die als Aufnahmeleiterin in einem Synchronstudio gearbeitet hat, knüpfen können, und dann auch wieder auf unser Ensemble aus dem „Indischen Tuch“ zurückgegriffen. Es ist einfach so, dass viele Schauspieler Spaß an unseren Produktionen haben. Beispielsweise hatten wir unsere Sherlock Holmes-Reihe nach drei Produktionen ursprünglich wieder beendet, aber wir bekamen unglaublich viel Post und Nachfragen, ob wir nicht noch weitere Holmes-Hörspiele machen könnten. Da war natürlich sofort klar, dass wir die Schauspieler der tragenden Rollen wieder einsetzen würden. Und wir stießen auf große Freude und offene Türen.

 

Oder nehmen wir die Besetzung des Ehepaares Hargreaves aus „Heimgesucht“, Stephanie Kellner und Benedikt Weber, die wir im Nachhinein so unglaublich gut gelungen fanden, dass wir beschlossen, ihnen weitere Auftrittsmöglichkeiten durch Folgegeschichten zu schaffen.

Es wird ja, wenn auch ganz selten, in Rezensionen geschimpft, dass sich unser Cast wiederholt. Oder sogar behauptet, dass wir den Hörern unbekanntere Schauspieler vorsetzen würden, um Geld zu sparen. Das Gegenteil ist der Fall. Weniger bekannte oder sogar weniger talentierte  Schauspieler sind in Wahrheit finanziell nicht wirklich günstiger. Seit wir die Schauspieler sozialversicherungspflichtig beschäftigen müssen, zahlen wir für jeden Schauspieler, selbst wenn er nur für eine Stunde für uns beschäftigt ist, Abgaben in die Krankenkasse, Rente und dergleichen. Insofern können wir über solche Anfragen nur schmunzeln. Wir achten genau darauf, wer in unseren Ohren am besten zu der Rolle passt und besetzen daher eben nicht immer nur danach, welcher Schauspieler gerade in Mode ist. Die Hörer wollen ja auch mal jemand anderen hören als die, die überall zu dabei sind. Gleichzeitig beobachtet man ja bei den meisten Labels eine gewisse Schauspieler-Treue. Bei den frühen Europa-Hörspielen waren Oliver Rohrbeck, Reinhilt Schneider, Hans Paetsch  oder Sascha Draeger auch bei nahezu allen Abenteuern irgendwo dabei. Und diverse Film- oder Theaterregisseure scharen oft ihren bevorzugten Cast um sich herum. Im Theater geht es ja gar nicht anders. 

 

Hat schon mal jemand eine Rolle abgelehnt?

Das kam durchaus schon vor, ja. Manchmal kann man sich finanziell nicht einigen, manchmal sieht sich auch der Schauspieler nicht in einer Rolle, was dann auch wirklich keine gute Grundlage für eine Zusammenarbeit ist. Da kann ich natürlich keine Namen nennen. ;-)

 

Hast du auch schon mal eine Besetzung im Nachhinein bereut?

Ja, das kam natürlich schon vor, dass wir uns da im Vorfeld vertan haben und es letztlich nicht so optimal gepasst hat, was der/die SchauspielerIn "geliefert" hat. Da muss man dann einfach noch besser Regie führen und versuchen, ein Ergebnis zu erzielen, das dem möglichst nahe kommt, was man sich ursprünglich vorgestellt hatte. Bei knapp 350 Schauspielern, die wir bisher vor dem Mikro hatten, ist das aber auch kein Wunder, dass es da auch mal gehakt hat. Aber zum Glück passieren uns solche Fehlbesetzungen nur sehr selten. Eine gute, typengerechte Besetzung ist beim Hörspiel ja das A und O! Und das ist von Anbeginn an eine Spezialität des Hauses Titania Medien.

 

Wie gehst du in Bezug auf deine Produktionen mit Kritik um? Wenn man so viel Zeit, Energie und Liebe in eine Produktion steckt, könnte ich mir vorstellen, dass das einen mitunter schon sehr trifft, oder?

Wer schon mal für uns eine Rezension geschrieben hat, weiß, dass wir hier sehr offen und interessiert sind, den Dialog suchen und uns auch zu Herzen nehmen, was wir da lesen. Manche sehr heftigen Reaktionen überraschen uns auch – wie der Shitstorm bei „Manor“ oder die heftigen Kritiken nach unseren Science Fiction-Folgen. Wir versuchen immer, dass für jeden etwas dabei ist, dass es eben härtere Folgen gibt und ein bisschen ruhigere Geschichten zwischendurch, und dann jeder so seins findet, aber bei den anderen Dingen eben auch mitgenommen werden kann. Niemand soll ausgegrenzt werden, aber wir wollen eben auch nach Möglichkeit offen für alle sein. Hin und wieder ist es auch nicht verkehrt, wenn mal ein Titel etwas polarisiert – wobei wir es nicht darauf anlegen. Es ist uns sehr wichtig, die Hörerwünsche zu kennen und wir diskutieren auch darüber und lassen uns davon inspirieren. Natürlich ist es immer schöner, positives Feedback zu bekommen, wenn man sein Bestes gegeben hat. Aber auch negative Meinungen sind für uns sehr hilfreich, da wir damit dazulernen und andere Denkweisen berücksichtigen können. Was wir irgendwann nicht mehr lesen, sind wiederkehrende und wenig inhaltsreiche Schimpftiraden sogenannter Trolle, die sich seltsamerweise zwar jedes unserer Hörspiele anschaffen, aber nahezu noch nie eines gemocht haben. Da mangelt es uns einfach an der nötigen Glaubhaftigkeit, um ernsthaft in die Diskussion einzusteigen.

 

Aber eure Fanbase ist euch ja sehr treu! Seit Jahren wie die 150ste Folge jetzt ja belegen kann.

Ja, und darauf sind wir wahnsinnig stolz und es motiviert natürlich ungemein. In den 16 Jahren, die wir nun schon auf dem Markt sind, haben wir nicht nur den Hörspiel-Boom ab 2002 erlebt, sondern auch die schwierige Phase 2007 bis 2009, als zahlreiche Label wieder in der Versenkung verschwanden. Da ist es für uns natürlich eine Auszeichnung, nach wie vor die Ohren der Hörer zu erreichen. Dafür sind wir unendlich dankbar und entsprechend bemüht, unseren Qualitätsanspruch weiterhin aufrecht zu erhalten und die HörerInnen nicht zu enttäuschen.

 

Worin siehst du denn euren Erfolg begründet? Kannst bzw. willst du das in Worte fassen?

Es mag jetzt unbescheiden klingen, aber das ist der Beweis für die Qualität unserer Produktionen. Leider wird ja mancher Hörer, der sein erstes Hörerlebnis mit einer minderwertigen Produktion erlebt, gleich wieder abgeschreckt von mancher Schrottproduktion auf dem Markt, und bleibt verloren für die Produzenten, die mit ausgezeichneter Qualität ihren Lebensunterhalt verdienen möchten. Es fühlen sich viele berufen, Hörspiele zu produzieren, da dies technisch heute mit wenig Aufwand auch im Homestudio ohne weiteres möglich ist. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass deutlich mehr dazu gehört, ein gutes Hörspiel zu schaffen als die technischen Voraussetzungen und die Fähigkeit eine Tastatur und ein Telefon zu bedienen. Da muss man einiges können, dann hat das eine künstlerischen und unterhaltenden Wert und ist ein Genuss für den Hörer, denn er kann in eine andere Welt abtauchen. Wir haben von Anfang an auf talentierte Schauspieler gesetzt, auf gute Dialogbücher, tolle Cover und haben hier nicht gespart. Auch sind wir selbst in den Anfangsjahren und dem plötzlichen Hörspiel-Boom personell klein geblieben und haben uns lieber gnadenlos selbst ausgebeutet, als durch Vergrößerungen und höhere Produktionszahlen in der Krise nicht mehr standhalten zu können.

 

Dann hoffe ich, dass auch die nächsten 150 Folgen weiterhin das Publikum begeistern werden und ihr nicht müde werdet, tolle Hörspiele zu produzieren.

Vielen Dank, wir werden definitiv nicht müde und werden weiterhin alles geben, um die Hörer mit ausgezeichneter Qualität und tollen Geschichten gut zu unterhalten.

 

Marc, ich danke dir für dieses ausführliche und ehrliche Interview.

Und ich danke Dir, Mareike, für die abwechslungsreichen Fragen.


Mareike Lümkemann