Im Sommer geht man raus, sagt Mutter

ein Hörspiel von Sabine Salzmann

Lauscherlounge

Gesamtspielzeit: ca. 60 Minuten

VÖ: 21.03.2019

Empfehlung: ab 16 Jahren

CD-Cover Im Sommer geht man raus, Lauscherlounge

 „Ok, ich probiere das jetzt mal. Hast mich wirklich überrascht mit deiner Nachricht. Deine Stimme klingt ganz anders als in Wirklichkeit. Echt zum Totlachen. Naja, ich bestimmt auch. Meine Eltern sind noch nicht zu Hause. Ist alles ganz ruhig. Ich habe den Kassettenrecorder jetzt hier unten im Garten angeschlossen. Weißt du, an diese Steckdose, die mein Vater für den Rasenmäher nutzt. Ich wollte nicht im Zimmer sitzen bei dieser Affenhitze. Jetzt habe ich gerade den Sprenger angemacht. Ich muss das jeden Abend machen. Habe ich das erzählt? Alles gießen, das nervt. Aber wenn meine Eltern nicht da sind, nehme ich bloß den Sprenger und hau mich in die Liege. Und so lässt es sich aushalten. Unsere Freundschaft will ich schon besiegeln. Dass du ausgerechnet mich ausgesucht hast… Und einen Packt zu schließen, finde ich richtig cool. Da werden wir noch in 30 Jahren dran denken. Bin ich mir ziemlich sicher.“

 

Sommer in Brandenburg: Das war Jungsein. Das war Rauchen in den leeren Kasernen, nachdem die sowjetischen Soldaten weg waren. Das war Umherstreifen. Das war die lange Dorfstraße und der Bus, der nur dreimal am Tag fuhr. Das war Schwimmen gehen. Das war die Angst vor den Faschos. Das war die Freundschaft zwischen Anne und Bettina. Das war, bevor Bettina sich zurückgezogen hat und als Anne noch dachte, dass alles anders werden könnte. Das waren die 90er in der Provinz.

 

Anders als die Masse

Nach der Tinnitus-Produktion ist „Im Sommer geht man raus, sagt Mutter“ das nächste Hörspiel der Lauscherlounge, das sich wieder von der Masse anderer Hörspiele abhebt. Und das in vielerlei Hinsicht. Diese Produktion widmet sich erneut einem Thema, das nicht gerade typische Hörspiel-Unterhaltung ist. Es geht um die Coming-of-Age-Geschichte zweier junger Frauen, welche ihre Jungend in der brandenburgischen Provinz verbringen. Beide müssen dabei mit persönlichen Problemen oder typischen Schwierigkeiten der 90er Jahre zurechtkommen. Heute wie damals war Erwachsen werden nicht immer einfach. Während Anne mit den Depressionen ihrer Mutter zu kämpfen hat, dabei aber voller Neugierde und Lebenslust ist, ist ihre Freundin Bettina eher introvertiert. Bettina verfügt trotz des normalen Familienlebens und den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern nicht über den Mut und das Selbstbewusstsein ihrer Freundin. Da sie es auch nicht schafft, sich Anne zu öffnen, zerbricht die Freundschaft während des Sommers, fehlt Anne doch leider auch oftmals die nötige Empathie für ihre Freundin.

 

Jugend in den 90ern

Das Hörspiel nähert sich dem Thema „Coming-of-Age“, Zukunft und Identitätssuche ganz ruhig, mit viel Fingerspitzengefühl und aus der Perspektive von beiden Hauptpersonen. Wer hier Action oder Spannung erwartet, der wird sicherlich enttäuscht werden. Es geht hier vielmehr um gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, die, auch wenn das Geschehen in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts spielt, immer wieder ein aktuelles Thema sind. Wie gehe ich mit einem rechtsradikalen Umfeld oder Gewalt um, wie mit Stimmungsschwankungen oder gar Depressionen und auf welchem Weg kann ich Gedanken und Gefühle kommunizieren. Dies sind Themen, welche immer aktuell sein werden…

 

Realitätsnah

Produziert wurde „Im Sommer geht man raus, sagt Mutter“ wie auch die letzte Lauscherlounge-Produktion „on location“. So kommt auch dieses Hörspiel äußerst authentisch daher. Der räumlich-dokumentarische Sound erzeugt ein Gefühl von „dabei sein“, man fühlt sich als passiver Beobachter. Die Sprecher (Antonie Lawrenz und Nell Sophia Korhals) sind zudem Jugendliche im tatsächlichen Alter der Hauptpersonen, was das natürliche Spiel der Akteure noch einmal betont

 

Mein Fazit:

“Im Sommer geht man raus, sagt Mutter” ist ein ruhiges und anspruchsvolles Hörspiel der Lauscherlounge, für das man sich Zeit nehmen muss und auf das man Lust haben sollte. Der Plan, Hörspiele fern ab vom Mainstream zu produzieren, geht auch hier auf. Ich denke, wir dürfen sehr gespannt auf das Thema und auf die Umsetzung der nächsten Veröffentlichung sein. 


Mareike Lümkemann

 

11. April 2019